
Ist Reisen zu dieser Zeit noch zu verantworten?
Samstag der 14.03.2020
Seit vier Tagen sind wir wieder in Kuala Lumpur (KL) und das vor allem, weil ich mir eine neue Sonnenbrille anfertigen lassen musste (ich hatte sie in Penang verloren) und um Chelsea wiederzusehen.
Erstmal alles wie immer….
Ankunft am Mittwoch (11.03.2020) in KL. Es war ein bissel wie “nach Hause” kommen. Die Hochhäuser, der Straßensalat, die viele verschiedenen Läden und Straßenstände, sowie die pinken kostenfreien Busse. Wieder ein Ort an dem wir uns auskannten, ein Ort der nun einfach zu bereisen war. Auf dem Weg zu unsere neuen Unterkunft hatten wir die Wolken noch garnicht so wahrgenommen, doch kurz nach der Ankunft brach ein riesen Gewitter über der Stadt zusammen. Mal eine ganz andere Perspektive mit anderen Geräuschen und Gerüchen und es hatte etwas gemütliches, dieses Naturschauspiel vom Bett, im 16. Stock, aus zu bewundern. Später an dem Tag machten wir uns auf den Weg in die Malls, um nach einem guten Angebot (Bearbeitungszeit und Preis) für eine neue Sonnenbrille zu suchen und etwas zu Essen. Die Stadt war voller Menschen, wie gewohnt laut, bunt, hell erleuchtet und durchdrungen von den verschiedensten Gerüchen. Nach zwei Stunden hatten wir eine Brille für 90.50 Euro in Auftrag gegeben, in einem fancy Foodcourt gegessen, uns zwei superleckere Brownies gegönnt und haben den Abend mit ein paar Folgen “Love is Blind” bei Netflix ausklingen lassen.

Für den nächsten Tag stand zum einen die Abholung meines elektronischen Lesegerätes – Kindle – und zum anderen die weitere Planung unserer Reise auf der to do Liste. Also nix besonders, alles wie immer und fast immer in klimatisierten Räumen.
Na ja eines war dann doch anders als sonst und schnell zu erkennen, als wir uns am nächsten Tag auf die Straßen der Stadt begaben. Es fehlten die Menschen(massen). Von einem Tag auf den anderen wirkte die Stadt verlassen. Gehewege waren breiter, das Warten an der Straße zum überqueren war kürzer und das Begutachten der Menschen untereinander war spürbarer. Na gut dachten wir…. vielleicht wieder ein Vollmondfeiertag oder ein vorgezogenes Wochenende, wir kannten diese leeren Straßen schon von der Reise durch den Osten des Landes. Wir kümmerten uns erstmal um mein Kindle.
Nach der Brille nun mein elektronisches Lesegerät, ich glaube ich werde schusselig.
Auf dem Weg aus dem Taman Negara (Nationalpark) zurück nach KL bemerkte ich auf halber Strecke, dass ich mein Kindle im Guesthouse liegen gelassen hatte. Vor meinem inneren Auge konnte ich es genau sehen, er lag unter meinem Kopfkissen. Beim zusammenräumen dachte ich noch daran, ihn einzustecken, doch dann kam wieder irgendwas dazwischen und wech…. So und nun? Ich war mal wieder mit meiner Laune auf Grundeis. Es hat schon so viel Kraft gekostet, den Verlust meiner Brille zu verarbeiten und mich gedanklich mit den Mehrkosten anzufreunden und nun das. Wir kontaktierten das Guesthouse, die uns zumindest bestätigen konnten, dass das Ding noch da war. Puh na immerhin was. In der Kommunikation mit der Besitzer*in des Hauses entstand ein Plan, der in meinen Ohren genauso irre wir realistisch erschien. Sie wollte mein Kindle zu der Agentur bringen, mit der auch wir drei Touren vor Ort gemachten hatten und die täglich mit einem Kleinbus nach KL fahren. Somit kontaktierte ich die Agency und entgegen aller Hoffnung konnte ich am nächsten Tag mein Kindle, extrem gut verpackt in Plastiktüten hier in KL von der Agency wieder abholen. Alter… ich war für den Moment glücklich wie ein kleines Kind an ihrem Geburtstag.

Also falls ihr mal in den Taman Negara fahren solltet empfehle ich das Delima Guesthouse und wenn ihr dann noch etwas Platz in eurem Rucksack habt, dann würde ich gern auch noch ein kleines Geschenk, als Dank, mitgeben.
Keine Planung ohne Corona (Covid-19)
Später im Cafe machten wir uns dann an die Planung der nächsten Tage und Wochen. Unsere Idee war es nach Sumatra zu gehen. Wir wollten zurück in den Regenwald, vielleicht doch mal in türkisfarbenem Wasser schnorcheln und uns wieder auf den ein oder anderen Vulkan schwingen. Die Idee machte Laune und so packten wir es an.
Doch HALT ist Indonesien als Reiseziel, in dieser Zeit, noch eine gute Idee? An diesem Tag haben wir erfahren, dass Vietnam seine Grenzen dicht gemacht hat und somit eine Einreise auf unbestimmte Zeit unmöglich ist. Was Vietnam kann können bestimmt auch noch andere Länder, und dann? Kommt man dann aus dem jeweiligen Land noch raus, bzw. wohin soll es dann gehen? Indonesien fällt bei all den Informationsfluten noch nicht ins Gewicht, die Fallzahlen sind überschaubar und die Stimmung ist sonnig. Bis auf die Informationen des Auswärtigen Amtes, dass es zu spontanen und unbegründeten Zwangsquarantänen für Reisende kommen kann. Ja gut, aber irgendwas ist ja immer. Und was noch? Zumindest ist Indonesien so groß und vielfälltig, dass wir dort bestimmt ne Weile verbringen könnten. Und wenn wir es brauchen wäre da auch noch Bali (Touristisch und mit europäischen Standards). Bleibt also die Frage nach dem Visa. Indonesien bietet da verschiedene Optionen in Länge und Preisen, aber mit der Möglichkeit dort ne Weile bleiben zu müssen, wäre eine vorausschauende Planung bestimmt sinnvoll.
Auf dem Weg zur Unterkunft war die Leere der Stadt immer wieder Thema zwischen uns. Kein Gedränge in Chinatown, Schilder die kostenfreiem Kaffee anpriesen, eine Hosenverkäufer*in die mir 25% Rabatt gab und meinte ich sei heute erst ihre zweite Kundin gewesen, sowie Schaufensterpuppen die Gesichtsmasken trugen. Die Frage nach dem was passiert hier eigentlich und was ist unser Rolle in diesem Spiel wurde immer lauter.
Am Abend buchten wir dann zwei Flüge für 25 Euro p.P. nach Medan (Indonesien), sowie ein Hostel für letzten Tage bis zum Abflug in KL. Ja Ja wenn die Regierung von Sozialkontakten abrät, gehen wir mal eben ins belebte Hostel. Warum? Weil das Sein unter Menschen, die wie wir nicht von hier sind und reisen, eine Punkt weniger in der Auseinandersetzung mit all den Fragen bringt.
Fragen über Fragen
Der nächste Tag begann wie immer mit einem Blick ins Internet und damit hatte leider der Tag auch schon verloren. Bei mir war es die Info darüber, dass Menschen ihre geplante Zeit in Thailand absagen und nach Hause fliegen, weil sie vermuten, dass es bald keine Flüge mehr geben wird. Und an der Stelle begannen dann die Fragen im Kopf Spuren zu hinterlassen: Weiß die Person mehr als wir? Sollten auch wir nach Deutschland fliegen? Wenn dann noch der Wunsch eines befreundeten Arztes dazu kommt, aufgrund einer sich verschärfenden Situation zurück zu kommen, dann wird aus einer inneren Unruhe körperlicher Schmerz.
Den Tag über verbrachten wir mal wider mit Chelsea, die sich trotz einiger Bedenken ihrer Mutti mit uns traf. Die gesamte Zeit war das C-Wort (wie es Madeleine nun nennt, in Anlehnung an Harry Potter (and-the-man-who-can-not-be-named) bei uns Thema. Chelsea erzählte uns, dass die malaysische Regierung ihre Bewohner*innen gebeten hat zu Hause zu bleiben und dass Veranstaltungen über 250 Personen abgesagt werden. Das erklärt auf jeden Fall die fehlenden Menschen in der Stadt, den Geschäften, den Parks und Spielplätzen. Und immer wieder habe ich das Gefühl anders angesehen zu werden. Nicht nur weil wir keinen Mundschutz tragen, sondern weil wir als Reisenden zu mobilen Viruswirten gezählt werden. All das hämmert gerade im Kopf. Alles dreht sich um die Frage;
Und was nun? Was ist das Richtige zu tun?
Ist Reisen eine Zumutung in dieser Zeit, Verantwortungslos und Selbstgerecht?
Sollen wir nach Deutschland reisen? Und was dann? Aussteigekarte, medizinische Überprüfung und dann rein ins Ruheleben, bei den Eltern. Dazu kommt, die Frage nach der Krankenkasse in Deutschland, wir müssten uns privat Versichern … oder direkt wieder arbeiten bzw. zur Agentur für Arbeit. Attraktiv wäre der Punkt nur, weil so die Bedenken der Lieben in Deutschland gelindert wären, wir ggf. auf ein gutes Gesundheitssystem zurückgreifen könnten und wir keine Reisenden mehr wären, die wie Zombies die Welt kontaminieren. Ich denke, dass wenn ich in den nächsten Tagen nach Hause kommen würde, dann wäre das das Ende unserer Reise. Madeleine stellt sich die Frage, ob es egoistisch von ihr ist, als Intensivpflegekraft weiterzureisen und nicht zurückzukommen, um ihre Kolleg*innen zu unterstützen, vor allem da die Personalschlüssel eh schon so eng bemessen sind.
Weitere Fragen die wir gestellt bekommen haben sind; Möchten wir gegebenenfalls in dem Land wo wir sind/zu dem Zeitpunkt sein werden in Quarantäne gehen oder einem Krankenhaus behandelt werden? Und sind wir bereit ggf. mehrere Monate in diesem/jedem kommenden Land zu bleiben?
Dazu dann noch ein paar Fragen aus dem Bereich; Wieviel ist hier eigentlich real und was ist Panikmache?
Und ein paar Zukunftsfragen; Wie wird sich die Lage in Deutschland, bzw. weltweit mit all den Maßnahmen hinentwickeln? Welche Maßnahmen werden noch folgen? Ist eine Besserung der Lage absehbar und was kommt danach?
Auf einige der Fragen können wir Antworten finden, die sich im Moment gut für uns anfühlen. Wir sind uns aber auch bewußt dass auch diese sich wieder ändern könnten. Auf andere Fragen haben wir, wie soviel andere, leider auch keine Antworten und suchen unseren halbwegs entspannen Weg mit der Ungewissheit.
Wenn du all die Fragen mit in die Nacht nimmst….
Samstag 14.03.2020
Das war mal keine gute Nacht. Eine Unterkunft in einer Bauweise die jedes Geräusch verstärkt oder verteilt. Dazu kommen sehr hungrige Mücken und dass es Madeleine nicht so gut geht. Körperschmerzen, Halzschmerzen und Müdigkeit, lassen sie um kurz nach 10Uhr noch immer im Bett liegen und schlafen. Oh man ich hoffe sehr, dass sich hier wirklich nur der Streß um die aktuellen Situation auf ihren Körper gelegt hat und sie sich nach einem Tag im Bett wieder erholen kann.
Der Blick in die Medien heute früh, brachte keine Entspannung. Die anderen Reisenden posten kaum noch, bzw. wenn dann geht es, und das finde ich sehr gut und wohltutend, um Menschlichkeit, den gesunden Menschenverstand, Achtsamkeit und Solidarität. Die Infoseiten sprechen hingegen von weiteren Risikogebieten, einem Anstieg der Infektionen und einem weiteren zurückfahren sozialer Interaktionen.
Es ist fast zwölf Uhr mittags. Ich habe uns gerade einen Tee und Kaffee gemacht und gefragt in wie weit kann eine Ansteckung auch über Wasserspender geschehen. Mittlerweile sitzt Madeleine wieder und spielt an ihrem Telefon, das ist gut…. nur, dass ich nun gucken soll, ob sie belegte Mandeln hat. Das überfordert mich. Ergebnis: eitrige Mandelentzündung.
Na dann auf ins Krankenhaus.
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In diesem Sinne gute Besserung an Madeleine und ich hoffe das ihr eure Reise fortsetzen könnt. Liebe Grüße aus Rostock