
Finde ich mich gut, so wie ich bin?
Interaktionen mit Menschen in meiner Umgebung fallen mir nicht immer leicht. Auf der einen Seite bin ich sehr empathisch, kann Dinge schnell wahrnehmen und fühlen, auf der anderen Seite finde ich gesprochene Worte herausfordernd, brauche manchmal Zeit um sie zu suchen.
Ich bewundere oft Anne für ihre Leichtigkeit in Gesprächen und im Umgang mit anderen Menschen. Sie stellt spannende Fragen, erzählt von sich heraus und bietet Menschen so eine Möglichkeit für Interaktionen und Konversation. Sie kann so in Gesprächen aufgehen, ist freudig aufgeregt und begeistert, was sie von den Menschen mitnehmen darf, die uns so begegnen. Mir fällt auf, dass sie oft als erste auf Fragen antwortet und meistens länger im Kontakt bleibt.

Ich nehme mich da als so anders wahr. Viel zurückhaltender, es gibt Phasen, da ist es für mich ein großer Energieaufwand offen und gesprächig zu sein, mitunter strengt es mich an. Meine Antworten fallen Fragenorientierter und kürzer aus, ich habe längere Erholungsphasen und wenn es mehr Menschen an einem Ort sind, ziehe ich mich eher zurück.
Geräusche, Licht, Berührungen, diverse Emotionen, Wünsche und Befindlichkeiten der Menschen scheinen dann auf mich einzudringen, ich fühle mich mit all dem überfordert, mein Fluchtreflex schaltet sich ein. Oft bin ich eher am Rand oder noch eher im Hintergrund zu finden, als im Mittelpunkt.
Das ist schon so, seitdem ich mich erinnern kann. Als Kind schon habe ich lieber andere Menschen für mich erzählen lassen und eher zugehört, mich sehr stark in meine Welt zurückgezogen. Das ist auch heute noch so. Es kann schnell passieren, dass ich so in Gedanken versunken bin, kaum etwas um mich herum wahrnehme, lange Zeit am Stück über Themen nachdenke, reflektiere, verschiedene Positionen einnehme und darin versinke.
Die innere Welt als mein Ruheort, Rückzug und sichere Insel. Meine Wände, die ich mir unterschiedlich gestalten und die immer da sind. Mit der Zeit habe ich gelernt, immer öfter aus der inneren Welt heraus-, mit anderen in Kontakt zu treten. Doch Punkte der Sichtbarkeit, Offenheit und damit auch Verletzlichkeit sind immer wieder groß und herausfordernd.
Dadurch, dass ich so viele Reize ungefiltert wahrnehme und es erstmal der Verarbeitung bedarf, sind meine Batterien durch das ständige Arbeiten daran sehr schnell leer. Wenn erst einmal ganz alle, dann dauern Erholungsphasen oft auch länger, bis ich das Gefühl habe wieder energiegeladen und wach zu sein. Manchmal können Aufladephasen Tage dauern, in denen ich nur wenig Reize aushalten kann und oft müde bin.

In Deutschland habe ich gute Strategien für mich entwickelt (mein Geheimrezept sind Ruhe, leise Klavier-, oder Cellomusik, dunkle Umgebung und haptisches, körperliches Feedback, oft rolle ich mich in meine dicke Decke ein und setzte ich bei Bedarf auf den Boden an die Wand oder Natur, Spazierengehen und Gedanken durch mich durchrauschen zu lassen)
Es passiert schnell, dass ich denke, ich müsste anders sein. Es scheint mir, als ob offene, kommunikative, lustige Menschen beliebter sind als ruhige, zurückgezogene, Personen, die oft als „schwer“ wahrgenommen werden. Erstere Personen bleiben schneller im Gedächtnis, sind der Knaller bei jeder Party und alle wollen sie dabeihaben.
Finde ich mich gut, so wie ich bin?
Eine so schwere Antwort für mich, das Nachdenken macht mich emotional und bringt mich den Tränen nahe. So lange Zeit habe ich gedacht, ich müsste anders sein, die Überzeugung nicht gut genug zu sein so stark. Das hat mich oft noch mehr in Rückzug gebracht, meine Welt, wir hatten es ja oben schon. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Manchmal kommt es mir paradox vor: Eine Person, die sich scheinbar lieber zurückzieht, mit sich selber sein kann, geht los auf eine weite Reise im Außen, die Reise, die auch vom Kontakt mit Menschen lebt?
Meine Herausforderung ist der Drahtseilakt zwischen dem Verlassen der Komfortzone, Dinge zu tun (die unangenehm wirken und dann mit der Zeit immer normaler werden), nicht zu bequem zu sein. Auf der anderen Seite auf meine Grenzen zu schauen. Zu sehen, in was ich gut bin. Was brauche ich, um mich wohl zu fühlen? Kann ich okay damit sein, wie ich bin und welche Bedürfnisse ich grade habe, auch wenn sie so anders von meiner Umwelt oder Annes scheinen?

Was bleibt, ist das Fazit, dass ein Jahr reisen im Außen für mich auch eine Reise im Innen ist. Immer wieder mit dem Wunsch weitere Brücken zwischen diesen beiden Welten zu entdecken, damit es neue Wege gibt.
PS an mich:
Sachen, die ich gut kann
- Empathisch sein
- Ruhe mitbringen und ausstrahlen (das häufigste Feedback habe ich auf der Arbeit bekommen, wo Patient*innen innerhalb eines Tages mit ganz unterschiedlichen Personentypen konfrontiert sind, bringt meine Ruhe anscheinend angenehme Gefühle bei den Menschen mit, auch Vorteilhaft in echt stressigen Situationen oder in der Begleitung sterbender Menschen und deren Angehörigen)
- schnelle Auffassungsgabe und Verstehen von Zusammenhängen
- mich auf eine Sache konstant zu fokussieren
- Dinge wie Kabel enttüddeln
- Zuhören, ganz bei meinem Gegenüber* zu sein
- sortieren, Ordnung machen
- frimelige Bastelarbeiten
- Sprachen
- mich in neuer Umgebung zu orientieren
- Augenkontakt
Comments
So ein starker Text!!
Es ist so schön und mutig, was ihr hier teil – ich genieße es sehr euch und euren Gedanken so folgen zu können. <3
Fühlt euch emotional gedrückt!
P.S.: Mir würden noch ein paar Ergänzungen für die Liste einfallen! 😉
Ich kann mich Claux nur anschließen.
Dieser Text hat mich sehr zum Nachdenken angeregt. Danke für deine ehrlichen Worte.
Und grüßt mir das wundervolle Kanada <3