Should I stay or should I go?

Es ist Donnerstag. Wir haben vor wenigen Minuten ein Hostel, sowie ein Auto für die kommenden zwei Wochen gebucht. Unsere Bustickets zurück nach Halifax stehen noch aus.

Anders als geplant werden wir die Farm am Samstag schon wieder verlassen. Keine leichte Entscheidung, doch nachdem ich heute heulend neben der Spitzhacke auf dem Berg Platz genommen habe, wurde auch mir sehr deutlich, dass ich nicht ganz zu dieser Farm und deren Aufgaben passe. Madeleine stellte sich schon seit gestern die Frage „Wofür“ und meinte, dass sie uns so nicht auf einer Weltreise sehen mag. Eigentlich verlief der Arbeitstag ganz gut. Ich war mit dem Tiller im guten Rhythmus, radelte meine Bahn und fand auch nach 2,5h in Krach und Rauch auch einen Zugang zu Arbeit mit der Spitzhacke. Doch nachdem Craig vorbei gekommen ist, um mir zu erklären und zu zeigen wie ich besser und schneller arbeiten kann, wars aus.

Zurück zur Frage „Wofür“? Oder warum machen wir help.ex?

Aus der Distanz klang die Idee ganz wunderbar. Menschen in ihren Anfragen/ ihren Systemen zu unterstützen. Ganz gleich ob Farm- oder Homestay. Für ein paar Stunden am Tag mit anpacken, unter kanadische Leute kommen, neue Dinge lernen und ganz klar Geld sparen. Kanada ist bekanntlich teuer. Und ich bin noch immer der Meinung, dass dieses Helfen für Kost und Logie eine gute Sache ist.

Doch wann hört „Helfen“ auf und was kommt dann?

Nach der Arbeit haben wir sehr lange mit meiner Mutter telefoniert. Wir haben ihr unsere Situation geschildert. Sie sprach ihr Verständnis für unserer Host und deren Anliegen aus, doch sie sagte auch, dass eine Entscheidung zum Bleiben unvernünftiger von uns wäre, als zu Gehen und die Reise wie das Leben zu genießen. Uns beiden haben die bestärkenden Worte sehr gut getan und geholfen. Die Fähigkeit, für uns in einer herausfordernden Situation da zu sein, uns aufzufangen, Unterstützung zu zeigen, ist unglaublich stark. Uns fiel die Entscheidung zu gehen sehr schwer. Was werden Andere sagen? Unsere Eltern, Freunde und wie reagieren unsere Hosts, die mit unserer Arbeitskraft (unabhängig wie produktiv wir eingeschätzt werden) rechnen. Doch auch wir müssen uns hier mögliche „Schwächen“ eingestehen und einen Umgang im Inneren damit finden unseren Plan nicht erfüllen zu können.

Wie/wohin müsste die Situation verändert werden, damit wir bleiben?

Auch diese Frage haben wir uns gestellt, doch jede Idee einer Veränderung fühlt sich nur wie Schminke an, mit einem dicken ABER auf den roten Lippen. Uns ist bewusst geworden, dass positives Feedback oder anerkennende Worte den größten Effekt gehabt hätten. Ich erinnere mich daran, dass Craig am Dienstag noch sowas sagt wie „you did a good job there“ und wie belebend diese Worte waren nach dem harten Tag. Heute entnahm ich den Worten eher den Wunsch nach einem schnelleren arbeiten, um es mal positiv zu formulieren. Wir hatten auch überlegt die Struktur zu verändern, einmal im Wechsel der Tätigkeiten und zum anderen in der Verkürzung der Arbeitszeit pro Tag. Noch heute früh sagte ich zu Madeleine, dass ich unsere Hosts fragen mag, ob wir auch am Samstag vier Stunden arbeiten könnten, damit wir in der Woche darauf nur vier Stunden am Stück auf dem Berg gewesen wären. – Na ja ist hinfällig geworden. Eine weitere Option wäre, nach anderen Tätigkeitsfeldern zu fragen. Doch in der ganzen Situation und einem wachsenden Gefühl von nicht ausreichend zu sein, war uns klar, dass wir das eigentlich auch nicht mehr wollten. Was unsere Hosts suchen sind Menschen, die den Weinberg bewirtschaften. Für Craig (vor allem) geht es um ‘efficiency’, das schnelle und effiziente Arbeiten und daran ist nichts falsch. Es geht um das Bewirtschaften einer Farm, ums Geld und das Versorgen einer fünfköpfigen Familie. Wir hören hier auf zu „Helfen“. Wir werden wieder Dinge tun die uns Spaß machen, mehr zu unseren Körpern passen, uns mit anderen Menschen umgeben und weiter das Land erkunden. Geld spielt gerade gar keine Rolle, denn auch ich sehe an dieser Stelle ganz klar, dass ein gutes Selbstwertgefühl und Spaß am täglichen Sein mehr wert ist, als Geld.

PS: Wir bleiben bei unserem Plan ab dem 26.08.2019 unseren zweiten Farmstay anzutreten. Wir sind neugierig, was uns dann erwarten wird und haben die Hoffnung, dass alles ganz anders sein wird.

PPS: Auch der Vater berührte uns heute mit seinen Worten, indem er meinte „Das wichtigste ist, ihr seid zusammen.“ Lieben Dank an meine Eltern, wir haben euch lieb.


Comments

Ullimanulli
August 7, 2019 at 8:33 am

Puh! Das hört sich ja richtig stressig an. Soweit ich weiß, liegt der Stundenlohn bei Aushilfsjobs, also wo man davon ausgehen kann, dass jemand nicht angelernt ist, in Kanada zwischen 8,50 und 11 Dollar. Wenn man jetzt also die Mitte nimmt, 9,75 und das x 5h, erwirtschaftet eine Person 48,75 Dollar am Tag und 243,75 Dollar in einer Woche (bei 5 Arbeitstagen) also knapp ein Tausender im Monat – für Essen und Unterkunft (und Auto Benutzung) das finde ich nicht besonders doll, bzw. viel erwirtschaftetes Geld, die nur die Basisbedürfnisse abdecken. Das finde ich ja auch okay, wenn man sich drauf einlässt und das vorher weiß, aber da hätte ich auch keinen Bock, dass jemand mir sagt ich soll schneller oder effizienter sein. Da müssten dann ausgebildete Farmleute ran, was haben die Leute denn erwartet? Erholt euch gut!



CapreseBolognaise
August 10, 2019 at 1:11 pm

Ich habe keine Tränen in den Augen aufgrund der lieben Worte deiner Eltern. Wirklich nicht!!
Freue mich, dass ihr trotz den ganzen Erlebnissen noch Zeit findet und eure Gedanken zu teilen. 💕



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