
Es ist alles eine Frage der Perspektive
Klar sind die Bioprodukte teurer als die konventionell Hergestellten und bis eben dachte ich auch immer, es geht dabei darum, dass keine Pestizide gespritzt werden. Ziemlich gute Sache, doch über die Alternative, sprich den Prozess wie denn dann z.B. Unkraut bekämpft wird, darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht.
Bis jetzt….
Wir haben hier 5ac Weinberg, 36 Reihen mit ca. 60-70Pflanzen. Zwischen den Reihen kann ganz entspannt ein Traktor mit Mähwerk oder Grubber seine Bahnen ziehen, aber unter den Pflanzen? Da muss hier der Mensch ran. Die Pflanzen der Farm sind nun im dritten Jahr alle sehr unterschiedlich groß und die ersten Pflanzen tragen auch kleine grüne Früchte. Vor dem Weinberg war der Ort ein grasbewachsener Hang. Dieser hatte Jahre Zeit seine Pflanzen groß und stark werden zu lassen und diese Errungenschaft versucht der Hang auch heute noch zu verteidigen. Bio, oder Organic, wie es hier heißt bedeutet nun, dass der Mensch, momentan Madeleine und ich, ausgerüstet mit einem Freischneider dem Geflecht aus Gras und Unkraut an den Kragen gehen. Nach dem Sensen kommt das Grubbern. Wir grubbern mit einem Stihl MM55 Yard Boss, zu dem wir heute eine Einweisung bekamen und im Anschluß auch gleich loslegen konnten. Nach zwei Stunden hatte ich noch nichtmal eine Reihe geschafft, trotz Eigenantrieb der Maschine. Doch ich sagte ja, der Hügel hält an der Vergangenheit fest. 🙂 Der nächste Schritt der kommen wird, ist dann das weeding bei hand (Unkraut zupfen mit der Hand).
Ich wünsche ich hätte mir mal Gedanken dazu gemacht,
… was Farmstay für mich und meinen Körper bedeutet. Ich dachte schon an körperliche Arbeit doch was das genau bedeuten könnte, nee auch hier habe ich wieder nicht sehr weit gedacht. Aus den Rezensionen der anderen Helfer habe ich fast keine Beschwerden über die Härte der Arbeit lesen können. Keine Erschöpfung, kein Muskelkater, kein Kotzen in die Reben… nix. Waren das alles Bäuer*innen, Fittigänger*innen, Hulks, die kein Problem mit strahlendem Sonnenschein und 29 Grad hatten? Da klingt vieles super bzw. werden andere Punkte beschrieben. Klar ich komme aus einem Bürojob, kann super Bürostuhl fahren und stundenlang quasseln, nicht gerade das beste Trainingslager für ne Farm. Doch selbst Madeleine, die es gewohnt ist über 8 Stunden am Stück durch das Krankenhaus zu rennen und schwere Patienten zu drehen kommt hier an ihre Grenzen. Am besten sind die ersten zwei Stunden, wenn der Tag erwacht und die Muskeln und Konzentration noch ganz bei der Sache sind. Ab um acht Uhr steht die Sonne schon etwas höher am Himmel und ab dann beginnen die Muskeln, die die immer gleichen Bewegungen machen müssen zu brennen. Maschinenwechsel. Neue Abläufe bringen neuen Schwung, doch das hoch und runterlaufen am Berg fürs Tanken oder Spule wechseln wird spürbarer. Die Beine werden in den Gummistiefeln immer schwerer, die Arme sind lang, die Hände vibrieren und der Rücken….. Die Zeit wird lang. Trotz Finishline, die letzten anderthalb Stunden haben es in sich. Trotz kommt auf, Wut und Ärger.. jede zusätzliche Bewegung (die Maschine geht einfach mal so aus) läßt mich aufschreien und Fluchen. Um 11.15Uhr ist Feierabend und eigentlich ein Moment zur Freude. Doch dafür ist dann keine Kraft mehr und wenn dann, so wie heute der eigenen Anspruch nicht erfüllt worden konnte (Heute schaffen wir sieben Reihen) dann ist das echt bitter und macht ein schlechtes Gewissen unseren Hosts gegenüber. Es folgen; Duschen, Essen machen und Essen und dann nix. Es ist erstmal nix drin. Madeleine schläft und ich übe mich in muskelschonendem Stillsitzen, lese oder tippel auf dem Macbook. Viel mehr geht zu Teil nicht, wir sind richtig im Arsch.
Ok soviel zur Bestandsaufnahme
… und was ich vielleicht auch sagen mag ist, dass die Arbeit schon Spaß macht. Es ist der Knaller morgens um 6.15Uhr auf dem Berg zu stehen und zu beobachten wie die Sonne aufgeht. Unbekanntes Terrain für mich, mal Ergebnisse/Resultate meiner Arbeit entdecken zu können. Wow eine gemähte Reihe. Sowas war in meinem vorherigen Job weniger möglich, da war mehr Hoffnung im Spiel :). Es fühlt sich gut an sich auch mal zu spüren, zu schwitzen, sich von oben bis unten mit Gras- und Dreckspritzern zu dekorieren und wenn die fünf Stunden um sind, zu wissen dass ich heute nix mehr machen muss, ausser die Sachen die ich machen will. Wir lernen hier auch vieles in den Tätigkeiten die wir machen und haben über das Hinaus die Möglichkeit mit dem gestellten Auto die Umgebung zu erkunden.
Sind wir hier richtig?
Wenn ich mir also jetzt die Zeit nehme würde drüber nachzudenken, wo würde ich rauskommen? Fakt ist, ich würde für andere Helfer*innen mit mehr Kraft und Ausdauer den Platz räumen. Doch trotz Ansage, habe ich noch keine weiteren Zeichen für Unterstützung entdecken können. Ich möchte das Hinbekommen, ich möchte meinen Job im Weinberg gut machen, was schaffen, zufrieden mit mir sein (auch mit Blick auf die Farm) und im Anschluß kaputt und glücklich in den Feierabend gehen. Vor allem will ich die Kraft haben, mir diese unglaublich schöne Landschaft hier angucken und genießen zu können. Ich möchte die Kommunikation und Perspektive wegbringen von der Erschöpfung und hin zu den Möglichkeiten dieses Aufenthaltes.